Dies galt bislang zumindest für eine der Verlaufsformen der Multiplen Sklerose, die sogenannte schubweise MS. Hier ist es der Medizin gelungen die Dauer, Häufigkeit und Stärke der auftretenden Schübe teilweise deutlich zu verringern. Bei der sogenannten schleichenden Multiplen Sklerose, der anderen Verlaufsform, blieben solche Therapieerfolge lange Zeit aus. „Für Patienten mit schleichender MS gab es bis vor kurzem keine wissenschaftlich erwiesene Behandlungsmöglichkeit“, berichtet Prof. Dr. Thomas Postert, Chefarzt der Klinik für Neurologie des St. Vincenz-Krankenhauses. Doch seit Anfang 2018 ist in Deutschland eine Therapie zugelassen, die diesen Umstand positiv verändert.
„Das Medikament, mit dem wir den betroffenen Patienten jetzt erstmals helfen können, ist ein Eiweiß. Es wird in Infusionsform gegeben und zerstört bestimmte Lymphozyten im Blut, die eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung der Erkrankung spielen. Bei der schubförmigen MS reduziert das Medikament die Schubrate um ca. 70%, noch vorhandene Schübe sind deutlich milder. Und auch bei den MS Patienten, die unter der schleichenden Form der Erkrankung leiden, treten 90 Prozent weniger aktive Entzündungsherde auf“, so Prof. Dr. Postert weiter. Und die Therapie trägt bereits erste Früchte: „Unsere ersten Erfahrungen sind sehr positiv. Wir haben bislang etwa 30 Patienten eingestellt und bisher keine gravierenden Nebenwirkungen gesehen. Auch zeigen die Befunde bei keinem unserer Patienten neue Entzündungsaktivitäten.“
Die ärztliche Seite ist von der neuen Therapiemöglichkeit überzeugt und auch die Patienten merken die Erfolge der neuen Behandlung. Eine Patientin, bei der vor zwei Jahren schleichende MS diagnostiziert wurde, bekommt das neue Medikament seit sechs Monaten. Seit zwei Monaten stellen sich bei ihr spürbare Veränderungen ein. Gerade die deutliche Verbesserung der eigenen Bewegungsfähigkeit ist der Patientin positiv aufgefallen. „Vor der neuen Therapie konnte ich maximal 30 Minuten an der Hand meines Mannes spazieren gehen, mittlerweile schaffe ich bis zu 40 Minuten ohne fremde Hilfe und kann auch wieder Treppen steigen,“ erzählt die 65-jährige. Auch ihr Physiotherapeut habe bemerkt, dass sie wieder deutlich beweglicher sei. Sie verfüge über viel mehr Balance und besseres Gleichgewicht während des Gehens. „Insgesamt spüre ich einfach eine deutliche Verbesserung meiner Lebensqualität“, so die Patientin.
Die neue Therapiemöglichkeit wurden von Prof. Dr. Postert auch beim „8. Paderborner Tag der Multiplen Sklerose“ im Mai im HNF vorgestellt. Auch dieses Jahr kamen ca. 350 interessierte Besucher – Patienten, Angehörige und viele Mediziner - zu der renommierten und mittlerweile schon alt eingesessenen Veranstaltung. Die Veranstaltung sei „aus der MS-Szene nicht mehr wegzudenken“, so einer der teilnehmenden Ärzte. „Ein schönes Lob“, freut sich Prof. Dr. Postert, der den „Tag der Multiplen Sklerose“ alle zwei Jahre mit dem Team des MS-Zentrums organisiert.
Das zertifizierte MS-Zentrum des St. Vincenz-Krankenhauses Paderborn versorgt mehr als 400 stationäre MS-Patienten pro Jahr und gehört damit zu den größten Zentren dieser Art in ganz Deutschland. Das Zentrum bietet alle therapeutischen und diagnostischen Möglichkeiten, die auf dem Feld der MS-Forschung möglich sind. Auch Hilfe bei der Nachsorge sowie Kontakte zu Selbsthilfegruppen und MS-Sportgruppen bietet das Team seinen Patienten.
Im Bild (v. links): Nicole Rüssel (MS-Fachkraft), Astrid Hiller (MS-Fachkraft), Karin Widera (Patienten-Koordinatorin und MS-Study Nurse), Prof. Dr. Thomas Postert (Chefarzt der Klinik für Neurologie) und Dr. Annette Cicholas (Oberärztin MS-Ambulanz) (Foto: St. Vincenz/Winkelheide).